Mythos 100 Meilen – warum ist die Distanz so besonders?

100 Meilen vs. Ultra

Alles, was über die Marathondistanz (42,195 km) hinausgeht, bezeichnet man im Fachjargon als Ultramarathon. Heute soll es um eine besondere Distanz unter den Ultras gehen: die 100 Meilen.

Für mich persönlich hat diese Kategorisierung allerdings eher etwas mit der Dauer des Wettkampfes zu tun als mit der Distanz. Sonst wäre Jim Walmsley ein Ultramarathonläufer, wenn er 50km-Trailrennen in vier Stunden gewinnt. Aber 6-Stunden-Straßen-Marathonis nicht?! Für mich etwas verwirrend.

Doch per Definitionem gebe ich mich geschlagen. Denn in der Wortbildung ULTRAmarathon bedeutet der Zusatz in der Tat so etwas wie „darüber hinaus“. Passend also, dass es mehr als die Marathon Distanz ist.

Aber lassen wir das. Denn heute geht es um die 100 Meilen, bzw. um 160,934 km. Und da haben wir wohl keinen Ermessenspielraum. Alle 100-Meilen-Finisher sind Ultraläufer.

100 Meilen Geschichte 

Als ältestes 100-Meilen-Rennen gilt der Western States Endurance Run in den USA. Zumindest, wenn man von Wettbewerben auf Trails spricht. Das ursprünglich als Pferderennen organisierte Event änderte seinen Charakter, als 1974 kurz vor dem Wettkampf das Pferd von Gordy Ainsleigh lahmte. Gordy wusste sich nicht anders zu helfen, als die verbleibende Distanz zu Fuß zurückzulegen und kam zur Überraschung aller anderen Teilnehmer in unter 24 Stunden im Ziel an.

In den folgenden Jahren entwickelten sich die heutigen Klassiker wie Leadville100 und Hardrock100 (beide USA) sowie die europäischen Klassiker Grand Raid oder UTMB (beide Frankreich).

Wir Menschen lieben runde Zahlen. So macht es Sinn, dass neben der Abnormalität des Marathons vor allem die 10km, 100km und 100 Meilen im Fokus stehen. Die 100 Meilen scheinen dabei die längste Kategorie einzunehmen, die sich ein Normalsterblicher irgendwie vorstellen, evtl. auch selbst zumuten kann. Nicht zuletzt liegt das wahrscheinlich daran, dass sowohl wir Europäer als auch die Amerikaner, Asiaten etc. keine längere Maßeinheit im Alltag verwenden als die Meile. Deshalb wundert es mich nicht, dass wir heute vor allem dem 100-Meilen-Mythos hinterherlaufen. Gäbe es bspw. aus der Historie heraus die fiktive Länge Kilomeile (1,75 km), läge die ultimative Distanz vielleicht bei 100 Kilomeilen. Wer weiss?

Geballte Erfahrung für die 100 Meilen

Während ich diese Zeilen schreibe teile ich übrigens meine Ferienwohnung in Chamonix mit geballter Ultra-Power. Der UTMB zieht sie alle an und so trainieren aktuell vor allem die 100-Meilen Spezialisten im Mekka des Trailsports.

Abby Hall

Abby Hall (USA), Gewinnerin eines Golden Tickets und später 14. beim Western States Endurance Run dieses Jahres, steht mir als erste Rede und Antwort. Für sie gilt es, bei 100-Meilen-Rennen vor allem Probleme zu lösen und Risiken einzugehen. Das mache den Unterschied zu kürzeren Distanzen aus. Denn jeder werde über diese Distanz gezwungener Massen mit Problemen konfrontiert und müsse Risiken eingehen. Wer beides am besten manage hat am Ende die größten Chancen auf den Sieg. Es gewinne also nicht immer der beste Läufer, wie man es bspw. bei einem 10km-Lauf erwarten würde. Magenprobleme, Krämpfe, Dehydrierung, aber natürlich auch Kälte, Hitze, Dunkelheit oder starke Gegner seien die ständigen Begleiter eines 100-Meilen Rennens.

Abby ist deshalb der Meinung, dass man sich bereits vorab gründlich damit beschäftigen sollte, man aber zudem auch die Chance und vor allem Zeit hat, all diese Probleme innerhalb des Wettkampfes zu lösen. Hierin bestehe der Unterschied bspw. zu einem Trail-Marathon, bei dem größere Magenprobleme schnell das Ende der Siegchancen bedeuten. Als Analogie zum allgemeinen Leben fällt Abby noch ein, dass man sich auch bei einem 100-Meiler am besten immer nur mit 1 oder 2 Problemen gleichzeitig beschäftigen sollte. Ist eins gelöst, wird das nächste angegangen. So übermannt einen nie die schiere Wucht der Aufgabe und man hat die Kraft und mentale Stärke, auch die 100 Meilen zu meistern.

Sabrina Stanley

Sabrina Stanley (USA), sicherlich aktuell eine der stärksten Frauen weltweit über die 100 Meilen, hat bereits 2x den Hardrock100 gewonnen und konnte außerdem beim Grand Raid auf La Reunion als Erste über die Ziellinie laufen. Ihr fällt sofort das besondere Gefühl ein, welches sie spürt, sobald sie alleine mit ihrer Stirnlampe durch die Nacht läuft. Das mache unter anderem das Besondere eines 100-Meilers aus. Denn der Lichtkegel der Stirnlampe zeige nicht nur für wenige Stunden den Weg, sondern meistens für eine ganze Nacht. Schon in einem 100-Kilometer Rennen gehe man deutlich näher an die eigene Schwelle. Die 100 Meilen hingegen müsse man deutlich konservativer laufen.

Den Unterschied mache hier meistens die mentale Stärke und das „Rennen“ fange eigentlich erst nach 100 Kilometern an. Zudem sagt Sabrina, dass sie über die 100-Meilen-Distanz deutlich mehr feste Nahrung zu sich nehme (bspw. Sandwich und Süßkartoffeln). Auch sie ist der Meinung, dass diese Renndistanz eine natürliche Grenze des Vorstellbaren für fast alle Trailläufer darstelle. Die Tatsache, dass fast alle Teilnehmer mindestens 24 Stunden, also einen ganzen Tag unterwegs seien, verstärke dieses Gefühl einer langen „Reise“ noch mehr.

Was macht Sinn?

Wäre ich vernarrt in diese 100 Meilen und hätte ich den festen Plan, diese einmal selbst zu laufen, ich könnte hier viel von meinen adidas TERREX Kolleginnen lernen. Vom Training, über die Pacing-Strategie bis hin zur Ernährung. Das sind zumindest die Faktoren, die uns „Kurzdistanzlern“ direkt in den Kopf kommen, wenn wir über Rennen dieser Länge nachdenken.

Und sicherlich lassen sich auch die ein oder anderen Erfahrungswerte auf kürzere Distanzen runterbrechen. Aber ich selbst sehe mich nicht in dieser Sparte unseres Sports. Und dennoch habe ich den größten Respekt davor!

Wer eine mentale Herausforderung sucht, auf sensible Art und Weise körpereigene Signale versteht, und im Ideal-/Ernstfall einen Sau-Magen hat, ist bei den 100 Meilen gut aufgehoben. Dabei spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob man ein schneller Läufer ist. Wer bergauf schnell geht, bergab joggt und in den Verpflegungsstationen nicht allzu viel Zeit verbringt, wird bei den meisten Rennen die Cut-Off-Zeiten schaffen. Grund genug also zu testen, ob die 100 Meilen halten, was sie versprechen.

 

Laafts gscheid!

Moritz

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