Neuroathletik – Training für’s Gehirn

Was ist Neuroathletik?

Der Begriff “Neuroathletik” wurde von Lars Lienhard eingeführt. Er betreut mit seiner Trainingsmethodik einige deutsche Spitzensportler. Den Ursprung hat Neuroathletiktraining in der Neurologie. Es wird davon ausgegangen, dass das Gehirn und das Nervensystem maßgeblich die motorischen Bewegungen beeinflussen. Prinzipiell macht das Gehirn drei Dinge. Es nimmt Signale auf, die über die Sinnesorgane aufgenommen und über das Nervensystem zum Gehirn geleitet werden. Anschließend analysieret es diese Signale und integriert diese in das aktuelle Gesamtbild der Situation und reagiert mit einem entsprechenden Output auf die Situation. Dieser Output kann eine motorische Bewegung, ein Gedanke oder ein Gefühl, wie zum Beispiel Schmerz, sein. Je besser das Endresultat aller Informationen im Gehirn ist, desto stabiler kann auch die Bewegung ausgeführt werden. Die drei für die Bewegung zuständigen Systeme sind das visuelle System, vestibuläre System und das propriozeptive System.

Das visuelle System

Das visuelle System liefert für die Bewegungssteuerung die meisten und wichtigsten Informationen, es steuert die gesamte Augenmotorik, nimmt Signale visuell auf, und verarbeitet diese im Gehirn. Fast das gesamte zentrale Nervensystem arbeitet dem visuellen System zu. Deshalb steht es in der Hierarchie ganz oben. Diesem System werden in der Trainingspraxis vorbereitende Übungen vorangestellt.

Das vestibuläre System

Das vestibuläre System ist das Gleichgewichtssystem und wird über das Gleichgewichtsorgan im Innenohr gesteuert. Es liefert Informationen über die Lage im Raum und koordiniert die Kopfbewegungen. Die Informationen dieses Systems sind für das Gehirn wichtig, um den Körper ideal im Raum unter den gegebenen Umständen auszurichten. Andere Systeme sind abhängig von einem funktionierenden Gleichgewichtssystem, um optimal arbeiten zu können.

Das propriozeptive System

Das propriozeptive System ist ein Modell, welches dem Gehirn Informationen über die Bewegungen des eigenen Körpers übermittelt. Dabei senden Rezeptoren in den Gelenken, Muskeln, Bändern und Sehnen Signale über die Position und Stellung des entsprechenden Körperteils. Dieses System kann als der Prozess der Bewegungswahrnehmung beschrieben werden und steht in der Trainingspraxis am Anfang.

Neuroathletiktraining soll mit gezielten Übungen die drei Systeme optimieren. Die einzelnen Übungen verursachen Reize, die die entsprechenden Nervenbahnen und Gehirnareale stimulieren sollen.

Neuroathletik – Die Rolle des Gehirns

Alle Informationen aus den verschiedenen Systemen werden im Kleinhirn und Stammhirn zusammengefasst und an die entsprechenden Bereiche des Kortex übermittelt. Dieser analysiert die Informationen und entwirft eine Handlungsanweisung. Das Stammhirn ist zudem für die reflexive Stabilität zuständig. Die reflexive Stabilität bezeichnet die unterbewusste Stabilisierung einer Körperhälfte. Sie ist der Gegenspieler zur willkürlichen Bewegung. Führt man auf der linken Körperhälfte eine willkürliche Bewegung aus (z.Bsp. Wurf mit linker Hand), dann sorgt der Körper für die reflexive Stabilität auf der rechten Körperhälfte. Sie brauchen wir um möglichst stabil willkürliche Bewegungen ausführen zu können. Unser Gehirn ist in erster Linie auf Sicherheit aus. Umso mehr Informationen unser Gehirn bekommt, desto mehr Kontrolle hat es und desto mehr Bewegungsumfang lässt es zu.

Das menschliche Gehirn ist zudem kreuzkoordiniert. Das bedeutet, dass Informationen aus der linken Körperhälfte über das linke Kleinhirn an den rechten Kortex und anders herum übermittelt werden. Von dort werden die entworfenen Handlungsanweisungen wieder auf die ursprüngliche Seite zurück gesendet, während auf der Seite des Kortex das Stammhirn für die reflexive Stabilität angesprochen wird. Daraus ergibt sich, dass Koordinationsdefizite auf einer Körperhälfte zu Dysbalancen oder Instabilität auf der gegenüberliegenden Körperhälfte führen können.

Aufbau der Übungen

Die Übungen in der Neuroathletik sollen die oben beschriebenen neuronalen Prozesse, die für eine Bewegungsausführung durchlaufen werden, optimieren. Die verschiedenen Übungen sind dabei den drei Systemen zugeordnet. Dabei ist der Nutzen der einzelnen Übungen sehr individuell. Jeder Mensch reagiert anders auf die einzelnen Übungen. Deshalb ist einem neuronalen Training oftmals ein Testverfahren vorangestellt, um sein individuelles “neuronales Profil” zu erstellen. 20min tägliches gezieltes Training über mehrere Wochen soll schon eine nachhaltige Umstrukturierung im Gehirn bewirken können.

Ist Neuroathletik auch für Trailläuferinnen und Trailläufer interessant?

Zuerst muss man sagen, dass es zwar viele positive Erfahrungsberichte aus dem Leistungssport gibt, die wissenschaftliche Studienlage zur Praxis der Neuroathletik allerdings noch ziemlich dünn ist. Speziell in einem Ausdauersport wie unserem, können wir lediglich Vermutungen aufstellen. Dennoch kann es nichts schaden es mal auszuprobieren. Denn dieser Bereich bietet auch im Trailrunning Möglichkeiten mit relativ wenig Aufwand spezielle Fähigkeiten zu verbessern. Vor allem im Downhill könnten Übungen mit Schwerpunkt auf Beschleunigungswahrnehmung und peripherem Sehen Potenzial haben sicherer und somit langfristig auch schneller unterwegs zu sein. Es könnte sich also durchaus lohnen, sich mal mit diesem Thema auseinanderzusetzten, da der zusätzliche Zeitaufwand überschaubar ist. Wie viel es letztendlich ausmacht, um den Downhill schneller runterzulaufen, bleibt offen. Da es recht schwierig ist zu messen, ob die bessere Wahrnehmung der ausschlaggebende Grund ist.

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