Purismus oder Materialschlacht? Was “brauchen” Trailrunner wirklich?

Vorab: Viele Trailrunner verstehen sich als Puristen. Das gilt für die Ausübung des Sports in der Natur und die damit verbundenen Materialien. Aber was ist eigentlich Purismus und sind wir wirklich so puristisch? Wollen wir es überhaupt sein?

Purismus

Unter dem mehrdeutigen Wort Purismus versteht man nicht nur die Reinheit (abgeleitet aus dem Lateinischen; purus = rein) in Bezug auf ein bestimmtes Thema. Beispiele sind die Reinheit eines Baustils, einer Sprache oder der Ausübung einer Sportart. Dahinter versteckt sich ebenfalls der negative Aspekt des Übertreibens, des Radikalen. Da wird man schnell zum Korinthenkacker wie wir im Rheinland sagen.

Ich selbst verstehe Purismus nicht automatisch als erstrebenswertes Ideal. Ja, natürlich kann puristisches Handeln im Sinne einer herkömmlichen und simplen Ausübung bedeuten, dass bspw. Ressourcen geschont werden. Und das gewissenhafte Umgehen mit dem, was uns zur Verfügung steht, ist in der heutigen Zeit des Überflusses und des Kommerzes durchaus als wünschenswert anzusehen.

Aber mit puristischem Handeln geht nun mal auch Verurteilung einher. Nicht Hand in Hand, aber zumindest in Sichtweite. Deswegen schlage ich vor, den Begriff des Purismus‘ von Anfang an zu relativieren. Vielleicht sind die Wörter leicht und einfach hier eher angebracht als rein. Denn je leichter und einfacher etwas ist, desto, nun ja, leichter und einfacher ist es halt. Es muss ja nicht immer rein sein. Das fängt beim Schlamm am Fuß an und hört beim Schweiß im Gesicht auf.

Daraus ergibt sich für mich eine Art Bescheidenheit. Vielleicht ist das der passendere Begriff?!

Purismus Eingeständnis

Um ehrlich zu sein, wir Trailrunner sind schon ziemlich selbstverliebt. Auch wenn wir das nicht gerne hören und solch Anschuldigung gerne in Richtung Straßenlauf oder Triathlon weitergereicht wird.

Wir halten unseren Sport für den nachhaltigsten, fühlen uns so naturverbunden wie niemand sonst und benötigen ja ach so wenig Material, um unsere Passion auszuüben. Schuhe an. Und LOS!

Aber entspricht das der Realität? Sind wir wirklich so bescheiden und losgelöst vom Materialismus? Ich bin es definitiv nicht.

Material-/Ressourcenschlacht

Die romantische Vorstellung vom einsamen Läufer am Bergkamm, der nur das Notwendigste dabei hat, entspricht wohl nur selten der Realität.

Zwar verbrauchen wir im Gegensatz zum Motorsport während unserer Aktivität keine Ressourcen und benötigen sicherlich weniger Material als Triathleten oder Dressurreiter. Auch unsere CO2-Bilanz ist im Zweifel besser als die eines Schachspielers (dauerhaft das Licht an über dem Spielbrett). Aber an das griechisch-römische Ringen in der Antike (Lendenschurz, wenn überhaupt) kommen auch wir bei weitem nicht heran.

Oft tragen wir nur wenige Produkte am Körper. Diese aber sind recht teuer und haben meist keine nachhaltige Produktion hinter sich. Alleine Schuhe, Hose, Shirt, Uhr, Sonnenbrille, Regenjacke und Rucksack liegen schnell bei insgesamt 800 Euro (defensiv gerechnet). Und das hat wirklich fast jeder am Berg dabei! Zudem werden die Produkte am anderen Ende der Welt (meist Vietnam) hergestellt. Ade, schöne CO2-Bilanz. Der Verzicht auf den Flieger zum Wettkampf scheint nicht auszureichen.

Minimalausstattung

Ein genauer Blick hilft bei der Einordnung. Daher anbei verschiedene Versionen der „Minimal“-Ausstattung aus der Sicht eines männlichen, materialaffinen und durchaus (Temperatur-)empfindlichen Trailläufers in ansteigender Reihenfolge des Materialumfangs:

  • Absolutes Minimum: Theoretisch nichts

In der Praxis traut sich das kaum einer.

  • Rechtliches Minimum: Splitshort

Aber wer läuft schon ohne Schuhe? Und selbst Barfuß-Fetischisten haben meist die Uhr am Handgelenk.

  • Grenzwertiges Minimum: Splitshort, Schuhe

Auch hier will Vorsicht geboten sein. Ohne Socken ist der Lauf-Spaß schnell passé.

  • In Läuferkreisen akzeptiertes Minimum: Splitshort, Schuhe, Socken, Uhr

Doch auch dabei fängt man sich schnell die urteilenden Blicke von Passanten ein. Muss es wirklich oberkörperfrei sein? Und wie trinken?

  • Allgemein akzeptiertes Minimum: Splitshort, Schuhe, Socken, Uhr, Oberteil

Nicht zu vergessen das obligatorische Taschentuch. Auf den Weg rotzen geht gar nicht.

  • (Meist) Reales Minimum: Splitshort, Schuhe, Socken, Uhr, Oberteil, Midlayer, Sonnenbrille, Handy, Stöcke, Rucksack, Rettungsdecke, Erste-Hilfe-Paket, Regenjacke, Handschuhe, Mütze, Energieriegel, Softflask, Cap, ggf. auch Sonnencreme, Stativ, GoPro, Toilettenpapier etc.

Wie man sieht, interpretiert jeder Purismus unterschiedlich und lebt diesen dementsprechend aus. Contradictio in adiecto.

Appell inkl. Selbstreflexion

Meine eröffnende Frage, ob wir Trailrunner überhaupt Puristen sein wollen, kann ich persönlich nur verneinen. Dazu ist mir die Konsequenz zu diktatorisch. Puristisch war ich selbst sowieso noch nie. Weder bei der Menge meines Materials, noch bei der Herkunft desselben. Gegenteilige Aussagen meinerseits wären heuchlerisch.

Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen und habe die Meinung: Richtige (Ultra-)Trailläufer (weit ab der Zivilisation) DÜRFEN keine wirklichen Puristen sein. Ohne GPS & Co. in die Berge – unter Umständen lebensgefährlich!

Eine Art Selbstreflexion ist sicherlich bei uns allen angebracht. Bestimmte Produkte, die unser Leben im Ernstfall retten können, sind unverzichtbar. Auf der anderen Seite tut es nicht nur unserem Portemonnaie gut, wenn wir gezielt lokale Produkte kaufen (bspw. bei Shirts durchaus möglich). Auch die Natur, in der wir uns so gerne bewegen, wird es uns auf mikrobiologischer Ebene danken, wenn tausende Produkte weniger im Jahr per Flugzeug, Schiff, Zug und Laster transportiert werden. Perfekt werden wir alle nicht sein. Können wir wahrscheinlich auch nicht. Aber ein kleiner Schritt ist definitiv besser als keiner. Und er macht ähnlich wie bei der kleinen Mülltrennung in den eigenen vier Wänden Sinn im globalen Kontext.

Ich selbst muss mit dieser Besserwisserei vorsichtig sein, ziehe aber auch meine Schlüsse und bin (im kleinen Rahmen) aktiv. Neben meinem Ernährungssponsor stelle ich bspw. selber Energie-Balls für Wettkämpfe her und trage meine Klamotten bis sie auseinanderfallen.

Laafts gscheid!

Moritz

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