Plötzlich verletzt – Was nun?!

Eine Verletzung oder gar wiederkehrende Verletzungen gehören beim Laufen irgendwie dazu. Oder?

Verletzung vermeidenUmdenken beim Thema Verletzung

Nein. Eine Verletzung „gehört“ absolut nicht zum Laufen dazu. Ich möchte sogar so weit gehen und meine, Verletzungen sind auch für Leistungssportler fast immer vermeidbar. Zumindest was Überlastungserscheinungen betrifft. Den ein oder anderen Sturz oder Alltags-Unfall kann man nicht verhindern. Viel hat mit schlauem Training, Achtsamkeit und Körpergefühl zu tun.  Und damit, sich selbst und die eigenen Leistungen vor allem nicht zu überschätzen! Denn Verletzungen sind oft die Ursache von Training, das unser können im aktuellen Zustand zu sehr übersteigt. Nicht falsch verstehen, wir müssen uns über unsere Grenzen hinweg fordern, um besser zu werden. Aber auch hier gibt es Limits. Steigern wir von einer auf die andere Trainingswoche unseren Laufumfang um 100%, ist Ärger oft vorprogrammiert.

„Aktuell fühlt es sich noch gut an“ und „Das ist erst ein leichtes Zwicken“ sind dann die Mantras. Im sich selbst Anlügen sind wir natürlich alle Weltmeister.

Aber Fakt ist:

Wenn du seit Jahren läufst, ambitioniert bist und dich stetig verbessern willst, dann ist die Chance bei nahezu 100%, dass du schon einmal eine Verletzung hattest. Etwa die Hälfte aller aktiven Läufer kämpft sogar einmal pro Jahr mit irgendeiner Verletzung. Und sei es nur eine Kleinigkeit. Zerrungen, leichte Schmerzen im Mittelfuß, eine Rippenprellung. Und obwohl diese Zwickerl nicht zu unterschätzen sind, trainieren viele einfach unbeirrt weiter. Dann entwickeln sich diese Kleinigkeiten gerne weiter. Zu einem Muskelfaserriss, zu einem Ermüdungsbruch, zu einem Haarriss. Und dann ist die Kacke am dampfen. Ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf das eigene Leistungsvermögen ist gefragt. Doch heute wollen wir über die Konsequenzen sprechen. Die Verletzung ist also bereits Realität. Was nun?

Verletzung – die Analyse

Die meisten scheitern schon an der korrekten Analyse der Verletzung. Meiner Meinung nach sollte man sich deswegen zunächst die folgenden Fragen stellen.

VerletztWelche Verletzung habe ich?

Sich diese Frage zu beantworten, klingt leichter als es ist. Denn googlen und andere Sportler fragen reicht absolut nicht aus! Das führt eher zu Fehlinterpretationen. Also: Bitte keine Eigendiagnose starten und stattdessen einen Spezialisten (Facharzt, Physio, Podologe etc.) aufsuchen. Allerdings können auch Spezialisten nicht immer sofort erkennen, was bspw. die Ursache der Knie-Schmerzen ist. Dann geht der Spezialisten-Marathon los. Aber es lohnt sich. Nur eine Meinung einzuholen, und sei sie auch noch so reliabel, ist meist gefährlich.

Ist die Verletzung klar behandelbar?

Haben wir klären können, was das Problem ist, muss analysiert werden, ob und wie die Verletzung behandelt werden kann. Sei es durch:

  • einfaches Pausieren und anschließenden Neuaufbau (Beispiel: Kreuzbandriss)
  • defensives Training (Beispiel: RunnersKnee)
  • Alternativtraining (Beispiel: Achillessehnenschmerzen)
  • weiterhin normales Training, wenn keine Gefahr zur Verschlimmerung besteht (Beispiel: leichte Rippenprellung).

Falls nicht, ist vorsichtiges Experimentieren angesagt. Zum Beispiel Nervenirritationen und extreme muskuläre Disbalancen können im Extremfall dazu führen.

Wie geht es mir psychologisch (Stress)?

Sobald klar ist, dass man verletzt ist, sollte man sich mental damit auseinandersetzen. Es ist wichtig, zu verstehen, was eine (langfristige) Pause für einen persönlich bedeutet. Für den Einen bedeutet Lauf-Abstinenz lediglich die Chance, etwas anderes tun zu können. Für den Anderen bricht bei zwei Wochen ohne Laufbewegung im Kopf aber bereits eine Welt zusammen. Je früher man sich im Klaren darüber ist, desto schneller kann man auch dagegen angehen.

Wie in der Wirtschaft lohnt sich zudem ein Blick auf die bekannte SWOT-Analyse. Die Abkürzung steht für die weitreichenden Wörter Strength, Weakness, Opportunity und Threat. Anbei ein Beispiel.

Strength:

„Ich bin grundsätzlich sehr motiviert, wieder gesund zu werden.“, „Der Rest von meinem Körper ist top in Schuss.“

Weakness:

„Ich muss alleine damit zu rechtkommen.“

Opportunity:

„Ich habe ein starkes Betreuungsumfeld (Arzt, Physio, Freund/Freundin, Familie“, „Die Verletzung gibt meinem Körper eine sinnvolle Ruhephase und mir Zeit, liegengelassene Projekte wieder anzugehen.“

Threat:

„Ich könnte zu schnell wieder mit Sport anfangen (intrinsischer und extrinsischer Druck).“, „Meine Verletzung ist schwerer als gedacht.“, „Meine Verletzung wurde falsch analysiert.“, „Was mache ich, wenn ich einen Rückschlag habe?“

Auswertung

Eine Analyse reicht natürlich nicht aus, um eine Verletzung auszukurieren. Handlungen sind gefragt. Also ab an die Auswertung der Analyse.

Ist bspw. klar, welche Art der Reha sinnvoll ist, muss geklärt werden, was konkret hilft. Sind es aktive oder passive Übungen? Darf nur exzentrisch gearbeitet werden? Brauche ich Unterstützung bei der Ausführung? All das sind Fragen, die eine professionelle Betreuung nötig machen. Bitte spart hier also nicht am falschen Ende. Auch ein sogenannter „Kontrolleur“ aus dem Freundes-/Familienkreis kann helfen. Um zu bremsen, um Ruhe in den Rehaprozess zu bringen. Man selbst würde wahrscheinlich direkt 24/7 aktiv an der Genesung arbeiten wollen. Das ist nicht sinnvoll!

Damit einher geht die Frage nach der Reha-Dauer. Wird zu schnell wieder auf die Tube gedrückt, sind Folgeverletzung oder Rückfälle deutlich wahrscheinlicher. Ein realistisches Ziel hilft und das kann man sich selbst meist nicht setzen.

Umsetzung

Ständiger Austausch

Geht es in die Reha-Phase sollte mindestens einmal pro Woche eine unabhängige Person mit Sachverstand (Physio/Arzt) zugezogen werden. Das gilt übrigens bei schweren Verläufen ebenfalls, in evtl. größeren Zeitabständen, für eine psychologische Betreuung. Auch der aktive Austausch mit anderen Läufern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, macht nach der Analyse absolut Sinn. Es können Coping-Strategien ausgetauscht werden. Zudem motiviert es ungemein, Erfolgs-Stories zu hören und zu wissen, dass es wahrscheinlich bald im wahrsten Sinne des Wortes wieder bergauf geht.

Viele (Zwischen-)Ziele

Beim Aufbautraining ist es wichtig, Erfolgserlebnisse zu feiern. Und seien sie noch so klein. Je mehr realistische Zwischenziele ihr euch setzt, desto eher wächst die Motivation, diese weiter zu verfolgen. Ist das einzige Ziel, wieder top fit zu sein, kann das schnell frustrierend wirken. Ist das erste Teilziel wiederum, 2x pro Tag spezielle Reha-Übungen durchzuführen, stellt sich eher positives Denken an. Und wir alles wissen, was positives Denken bewirken kann!

Ruhig starten

Sobald sich der Körper wieder nach 75% Leistungsfähigkeit anfühlt, geben die meisten wieder 100%. Dabei ist es sogar bei 100% noch gefährlich, Vollgas zu geben. Kleine Steigerungen von 5-10% pro Woche sind genug. Und 3-4 Wochen kontinuierliches Training ohne Schmerzen geben frühestens Aufschluss darüber, ob etwas wirklich überstanden ist.

Schmerzempfinden kontrollieren

Die mehrmals täglich durchgeführte Kontrolle des eigenen Schmerzempfindens hilft über die Dauer der objektiven Einschätzung. Hier darf es natürlich kleine Rückschläge geben. Aber ein Aufwärtstrend sollte klar erkennbar sein. Ansonsten belügt man sich gerne selbst und rutscht immer weiter in den Schmerz. Denn eins können (Ultra-)Läufer dummerweise besonders gut: Schmerzen ertragen.

Eine Verletzung. Die Psychische Komponente

Der Weg zum (Sport-)Psychologen ist keine Schande. Manchmal, wenn die Reha nicht klar vorgegeben ist oder sich Rückschläge ergeben, kann sich der Erholungsprozess über Monate, sogar Jahre hinweg ziehen. Das kann den mentalen Schutzpanzer brechen lassen und extrem belasten. Seid euch also nicht zu schade, einen (Sport-)Psychologen zu konsultieren. Ich selbst habe es getan und es hat geholfen. Wichtiger Hinweis: es geht dabei nicht um einen Psychiater. Ihr seid also nicht krank und last euch nicht therapieren. Stattdessen findet ihr in gemeinsamen Gesprächen raus, ob und was ihr tun könnt, um mit der Situation klarzukommen. Das kann Depressionen vorbeugen (eine realistische Gefahr bei Ausdauersportlern mit langwierigen Verletzungen).

Verletzungsprophylaxe

Klar. Grundsätzlich kann man Verletzungen vorbeugen. Mit schlauem Training, vielen Krafteinheiten, sinnvollen Ruhephasen, vertretbarem Risiko in den Bergen, und vor allem Spaß. Denn sonst brennt der Körper noch schneller aus. Allerdings reagiert jeder Körper etwas anderes. Somit werden manche mit deutlich mehr Problemen zu kämpfen haben als andere. Obwohl die Rahmenbedingungen identisch sind. Das bedingt leider die genetische Prädisposition.

Jeder leistungsorientierte Ausdauersportler wird wohl mindestens einmal die Erfahrung einer schwereren Verletzung machen. Denn das Maximum der Belastung testen wir alle einmal aus, egal wie „schlau“ wir vorher schon sind. Da kann man von außen noch so viele Ratschläge kriegen. Viele lernen bereits aus der ersten Situation, bleiben somit von weiteren Verletzungsphasen verschont und haben auch etwas Glück. In dem Sinne, dass die erste größere Verletzung noch keine tiefgreifende, schwer kurierbare oder langfristige Sache ist.

Seid also schlau, hört auf diejenigen, die schon einmal in die Kacke gegriffen haben, und seid demütig. Laufen ist nun mal das schönste Leiden der Welt. Und das solltet ihr euch nicht selbst nehmen.

Ich drücke euch die Daumen!

 

Laafts gscheid!

Moritz

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