„Was dir keiner sagt, weil keiner Geld damit verdient.“ Teil 1: Umfang und Leistung

Gestern habe ich mal wieder einen Newsletter von einem recht bekannten amerikanischen Coach bekommen. Beworben wurde da, wie jede Woche, ein „Workout of the week“. Ich frage mich, wie sich die Workouts wohl dazu qualifizieren. Die Rede war übrigens von langen Dauerläufen mit Endbeschleunigung. Nicht gerade eine Neuerfindung.

Ich habe sowas nicht, kein „Workout of the week“, keine Geheimeinheit, die jeden nach vorne bringt, eigentlich nicht mal eine geheime Einheit. Und mal ganz ehrlich, wer würde mir glauben, wenn ich das behaupten würde? Ohh, ich fürchte leider verdammt viele, mindestens genauso viele, wie sich diese Hologramm-Armbänder für 50€ gekauft haben, weil dann irgendwas mit dem Körper passieren sollte. Wir sind halt anfällig für Wunder, für Abkürzungen und für Versprechen. Beim Laufen gibt es davon aber wenig. Dafür gilt aber auch: Kein Sport ist ehrlicher als Laufen. Du bekommst raus was du reinsteckst, keine Kampfrichter, keine unverdienten Tore und keine Fehlentscheidungen, nur ehrliche, harte und hoffentlich sinnvolle Arbeit.

Einer meiner Lieblingsaufgaben ist es, Spitzensportler zu analysieren, zu schauen, was sie gleich machen und was sie anders machen. Dabei bleiben unterm Strich aber nur zwei Sachen hängen:

  1. Erfolgreiche Sportler periodisieren ihr Training sehr stark und meist sinnvoll,
  2. Sie arbeiten unfassbar hart und laufen deutlich mehr als der Durchschnitt.

Bei allen anderes Sachen sieht man sehr große Unterschiede, starke Individualitäten, Vorlieben, Einschränkungen usw. Beim Umfang sind sich alle relativ einig.

Hier mal eine Übersicht einiger Athleten in ihrer Wettkampfvorbereitung:


Name Distanz Höhenmeter Zeit/Woche Erfolge
Kaci Lickteig 160-210km 300-3000Hm 12-18h Siegerin WS100
Sage Canadey 116-200km 4000-6000Hm 12-15h 3rd Transvulcania
Alex Nichols 108-145km 1100-5400Hm 9-14h 2nd Speedgoat 50k
Carsten Stegner 100-197km 0-2300Hm 6-15h Deutscher Meister 100km
Jim Warmsley 115-230km 2700-6800Hm 10-20h Sieger WS100
Max King 150-250km 2000-5000hm 11-18h 100km Weltmeister
Zach Bitter 190-220km 1500-3500Hm 12-17h 24h Weltrekordhalter
David Laney 131-200km 5000-7200Hm 15-18h 3rd UTMB
Jason Schlarb 120-170km 5200-7800Hm 14-25h Sieger Hardrock100

 

Was bedeutet das nun und was bedeutet das nicht? Das Offensichtliche zuerst: Willst du in die Weltspitze brauchst du Zeit und einen verdammt starken Körper! 😉 Ich mache es kurz: Umfang ist, gerade bei Langstreckenläufern verdammt wichtig und durch nichts zu ersetzen. Nun bin ich ja nicht gerade dafür bekannt, dass ich Umfang, Umfang, Umfang predige und das tue ich auch an dieser Stelle nicht. Ich bleibe stattdessen dabei: Alles zu seiner Zeit. Schaut man sich nämlich bei Strava in den Bestenlisten der letzten Wochen um, dann sieht man auch jede Menge Läufer, die die gleichen Umfänge schrubben und gar nichts erreichen. Wahrscheinlich gibt es von der Sorte sogar mehr. Und auch unter meinen Athleten gibt es einige, denen ich erstmal den Umfang kürzen musste, weil sie in einer Sackgasse waren. Umfang ist also zwar notwendige Voraussetzung für eine gute Leistung, aber bei weitem nicht hinreichend. Blinde Erhöhung des Umfanges bringt nämlich nur eines: Eine höhere Verletzungsgefahr, gerade, wenn noch zusätzlicher Stress dazukommt.

Solltest du persönlich deinen Umfang erhöhen? Das kann ich leider nicht pauschal beantworten. Aber ich kann dir ein paar Punkte mitgeben, wenn du meinst, dass du das möchtest:

  1. Verringere in dieser Zeit die Intensität der Läufe
  2. Sorge für ausreichende Ernährung, es ist nicht die richtige Zeit für Diäten oder Nüchternläufe
  3. Behalte deine übliche Periodisierung bei z.B: 3:1 Belastungs- Entlastungswochen
  4. Trainiere auf möglichst unterschiedlichem Gelände, mit unterschiedlichen Schuhen und bei unterschiedlichen Steigungen
  5. Trinke Recoverydrinks direkt nach dem Training
  6. Taste dich an die höheren Umfänge mit Radeinheiten o.Ä. ran, wenn du unsicher bist
  7. Besorge dir ein paar gute Hörbücher

Wie lange sollte so ein Umfangblock sein? Mindestens 6 Wochen, eher 8-10 Wochen. Leider passt sich der Körper nämlich an Umfangsteigerungen deutlich schlechter an, als an höheres Tempo. Also gib ihm genügend Zeit. Vergiss auch nicht dein Tempo zu variieren, dies dient in erster Linie nicht der Anpassung, sondern mehr der Verletzungsvorbeugung. Bleibe aber in der Phase zu mindestens 90% unterhalb deiner anaeroben Schwelle.

Als kleine optische Unterstützung habe ich noch ein Protokoll eines bekannten Radfahrers rausgesucht (Für Läufer gilt hier das Gleiche, die Daten sind oft nur nicht so leicht zu analysieren).

Auf der X-Achse ist dabei die Leistung an der Anaeroben Schwelle (modelled functional threshold power= mFTP) und auf der Y-Achse die Trainingsbelastung (Chronic Training Load = CTL) abgetragen. Der positive Zusammenhang zwischen Umfang und Leistung (positive Steigung der blauen Punkte) ist offensichtlich:

 

Distancewko

Noch ein Satz zum Schluss. Ich habe heute beim Laufen wieder zwei Podcasts zum Thema „Overtraining“ gehört. Ich weiß nicht woher die Angst davor kommt. Die Allermeisten, mich eingeschlossen, verletzen sich deutlich schneller, als dass der Körper so chronisch überfordert werden kann. Davor gilt es sich vielmehr zu schützen! Meiner Erfahrung nach ist es ein größeres Problem, dass viele „undertrained“ in Wettkämpfe gehen und sich so überfordern, als dass sie sich in eine chronische Übermüdung hereintrainieren. Wer ein bisschen auf seinen Körper hört, sonst kein überaus stressiges Leben hat und nicht alle Warnsignale in den Wind schießt, der muss ein chronisches Übertraining nicht befürchten.

Es bleibt also leider, oder Gott sei Dank dabei: Es gibt keine Abkürzungen und Umfang ist halt verdammt wichtig, auch wenn es unpopulär klingt. Und auch wenn diverse populäre Laufzeitschriften immer wieder mit den gleichen Erfolgen mit noch weniger Aufwand werben, liegt es nur daran, dass mit der Überschrift: “Jetzt besser werden mit härterem Training” keiner Geld verdient. Der beste Trainer der Welt, egal was er dir verspricht, kann nur dafür sorgen, dass dein Training so effektiv wie möglich ist, die Verletzungsgefahr klein bleibt und du mit Sicherheit langfristig besser wirst, aber auch er kennt keine Abkürzungen, nur vielleicht den besten Weg.

Und jetzt viel Spaß beim Laufen!

Beste Grüße

Micha

2 Kommentare zu „„Was dir keiner sagt, weil keiner Geld damit verdient.“ Teil 1: Umfang und Leistung“

  1. Christian Bärschneider

    Hi Michael :-),

    Ich wollte dich nur mal fragen was du genau mit “Recoverydrinks” meinst. Geht es hier um spezielle Getränke oder ist damit auch einfach nur Wasser gemeint?

    Grüße
    Christian

Kommentar verfassen